Stephan Krawczyk
ist ein Künstler der Anwesenheit.
Seine Konzerte sind Orte
sinnstiftenden Innehaltens.
OTZ, 20.5.2016 - von Guido Berg
"Drei Dinge sind klar nach den ersten Liedern: Krawczyk ist ein begnadeter Gitarrist. Mit der deutschen Sprache kann er so gut wie Lindenberg oder Brecht. Und er ist zu sensibel,
um nicht außer sich zu sein vor Zorn. Er ist ein Seismograph der Verlogenheit und Heuchelei jeder Zeit. Der vor 1989. Der danach."
OTZ, 8.9.2017 - von Karsten Schaarschmidt
"Krawczyk ist keiner von den ewigen Rächern, die auch 28 Jahre nach der deutschen Wiedervereinigung noch immer die Dissidentenkeule ins Vergangene schleudern. Vielmehr ist er ein
im Heute lebender singender Philosoph, humorvoller Denker, fulminanter Wortakrobat, schreibender Träumer und stets ein virtuoser Musiker."
KONZERTREZENSION
Südthüringer Zeitung / Meininger Tagblatt, 15. April 2019
Von Mutters Pantoffel und Gottes Lachen
Stephan Krawczyk über den digitalisierten Mensch, abgestumpfte Sinne und schöne Sprache
Bad Salzungen
110 Jahre alt ist sein Bandoneon, erzählt Stephan Krawczyk im Kunsthaus Haunscher Hof in Bad Salzungen – für ihn ein Beweis, „dass man im Alter noch
beweglich sein kann und einen schönen Klang hat“. Das gilt auch für ihn: Beweglich in jeder Hinsicht ist er, sowohl musikalisch als auch die Vielfalt der Themen betreffend; und so beweglich, dass
er nicht mit einem fertigen Ablauf kommt sondern das Programm und seine Ansagen spontan entwickelt, alle Lieder auswendig kön-nend. Auch einen schönen Klang hat er weiterhin – vielleicht schöner
als je zuvor, mit „Schöner werden“ ist sein Liederabend schließlich betitelt.
Dabei ist auch viel Unschönes von ihm zu hören – vor allem über das Digitalisieren des Menschen, das Verrohen des Miteinanders, das Verflachen der
Sprache, das Abstumpfen der Sinne, das Beliebigwerden der Werte. „Wie lang sind wir schon an den Dingen erkrankt“, singt er, ebenso vom „Okkupieren der Menschheit per Kassenbon“, vom „Manipulator
in Indoktrinesien“, von virtuellen Drogen und verzogenen Herzen, von intelligenten Waffensystemen und sprechenden Robotern.
„Wir haben uns eine Welt erschaffen, die wir nur noch im abgestumpften Zustand ertragen“, sinniert er, und „die Bilder graben der Sprache das Wasser ab“,
obwohl doch die Sprache „der größte Schatz der Menschheit ist“. Aber er singt und redet auch vom Schön-Sein und -Werden. Vor allem ist sein Abend ein Plädoyer für die Schönheit unserer Sprache.
Er wünscht sich, dass Schüler wieder mehr Gedichte lernen, und erzählt, wie ein Bautzen-Häftling die fünfjährige Einzelhaft dank auswendig gelernter Shakespeare-Sonette überstanden hat. Und er
lobpreist immer wieder die Liebe – zu sich selbst, zum Kind, zum Partner, zur Natur, zum Mitmenschen. Der Mensch will gut sein, ist sich Krawczyk sicher, das „Böse“ wird ihm nicht in die
Wiege gelegt … Aber wir lernen von Vorbildern und es mangelt uns an schönen Menschenbildern, so sein Fazit – im Fernsehen könne man die Toten kaum zählen, werde der Mensch fast ausnahmslos als
„böse“ gezeigt ...
Seine Alternativ-Vorschläge: Lasst uns das Heute zum Fest erklären, den Frühling zu zweit mit beckenfrohem Schwingen genießen, im Schilfgürtel der Seele
die Träume nisten lassen, ins Offene träumen – „mit den Farben unsrer Stunden malen wir ein Bild von Gott“. Schönheit pur sind solche Sätze, voller Poesie und Gefühl – Krawczyk weiß unseren
größten Schatz bestens zu schätzen, und er weiß ihn bestens zu nutzen.
Karierte Vögel und ein sprechendes Suppenhuhn
Das beweist er auch mit absurd-genialen Kurz-Reimen – Sekunden-Lyrik nennt er sie, vorgetragen zwischen Maultrommel-Klängen. Karierte Vögel, ein sprechendes
Suppenhuhn, unbeschuhte Möwen kommen darin vor, „kauzig schöner Wortsinn“ eben, unser Sprach-Schatz auf herrliche Weise gewürdigt. Mit solcherlei Humor ist der gesamte Abend durchzogen, und so
geht bei aller Tiefe und Zeitkritik nie die Leichtigkeit verloren, zeigt sich Krawczyk als heiterer Mahner statt aggressiver Ankläger. Das Menschliche wiederzubeleben ist sein spürbares Ziel,
wieder ganz Mensch sein mit allen Facetten, „man liebt sich und man leidet, das Leben ist der Preis“. Er lebt es selbst vor – ganz frei, authentisch, maskenlos gibt er sich auf der Bühne, gackert
und bellt auch mal, singt voller Inbrunst und bringt so auch das Publikum zum Mitsingen.
Er sieht das Menschliche auch im Nazi – sein Buch „Mensch Nazi“ liest er vor allem vor Jugendlichen, die seiner Erfahrung nach dankbar sind dafür, „mal
was Differenziertes zu hören statt nur Parolen“. Außerdem liest er aus dem Buch „Der Narr“ über seine letzten Jahre in der DDR, als Heizlüfter noch eine Kostbarkeit waren und der Trabi zur Geburt
angemeldet werden musste – auch damit sorgt er für viel Lachen, ebenso wenn er unter „Mutters Pantoffel“ steckt oder Gottes Lachen besingt. Dazu gibt es vertonte Ringelnatz-Gedichte über
verliebte Messingschrauben und vertrocknete Seepferdchen, als Premiere ein Gedicht zum 70-jährigen Grundgesetz-Jubiläum – wohl selten wurde die „Rechtsgrundlage unseres Volkes“ so heiter
kommentiert, und wohl selten wird die erotische Liebe so zauberhaft besungen wie von ihm.
„Er ist nicht mehr so bissig und politisch“, sagt eine Zuschauerin nach dem Konzert – bissig ist er tatsächlich nicht mehr; eher sanft, in sich ruhend,
zuvorkommend; aber politisch im ursprünglichsten Sinne, das Gemeinwesen betreffend, ist er sehr wohl. Indem er nicht mit erhobenem Zeigefinger sondern eher blutendem Herzen anspricht, woran das
Gemeinwesen krankt, und wie es genesen könnte. Das ist vielleicht sogar mutiger als mit anklagenden Parolen, und das ist herausfordern-der fürs Publikum als mit berieselnden Plattitüden. Seine
politischen Botschaften sind oft verschlüsselt in Bildern voller Poesie und Humor – fürs „Schöner werden“ ist Mitdenken und Mithandeln nötig, so sein klares Fazit; den „analogen Mensch“ wünscht
er sich, und singt „Mein Herz schlägt im Takt mit der heiligen Pflicht, dass ich mein Hiersein erfülle“. Heilig und erfüllt fühlt er sich tatsächlich an, dieser Abend – mehrere Zugaben erklatscht
das Publikum.
Susanne Sobko